Peer-Ökonomie
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Version vom 30. Oktober 2010, 07:54 Uhr von Michael Klotsche (Diskussion | Beiträge) (→Über Peer Projekte im Allgemeinen)
Inhaltsverzeichnis
Was bedeutet Peer Ökonomie ?
- Das Wort "Peer" kommt aus dem Englischen und bedeutet Gleichrangiger. Peer Ökonomie ist eine Form der Wirtschaft, in der die strikte Trennung der Rollen von Produzent und Konsument verschwinden. An die Stelle der Begriffe "Produzent" und "Konsument" tritt der künstliche Begriff "Prosument".
- Ebenso wie die Grenze zwischen Produzent und Konsument, löst sich auch die Grenze zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Chef und Untergebener auf. Wer in bei der Durchführung einer Aufgabe die Führung übernimmt entscheidet sich nicht aufgrund des Status sondern aufgrund der Reputation.
- Die Rolle der Führungsperson wandelt sich. Die Führungsperson, die früher Weisungsbefugnis besaß und die unter der Androhung wirtschaftlicher Konsequenzen bedingungslosen Gehorsam fordern konnte, wird zum "Maintainer". Der Maintainer (auf deutsch "Anschieber") hat keine Weisungsbefugnis und übernimmt die Aufgabe eines Moderators. Der Moderator selbst hat die Aufgabe, notwendige Entscheidungsprozesse vorzubereiten und Lösungen aus den Meinungen aller Beteiligten herauszukristallisieren, so dass einer Entscheidung im Konsens nichts mehr im Wege steht. Dazu kann der Maintainer selbst einen gut durchdachten Lösungsvorschlag für alle Sichtbar in den Raum stellen. Dies erleichtert die Diskussion des Vorschlages für alle beteiligten und regt die Beteiligung am Gestaltungsprozess an.
Über Peer Projekte im Allgemeinen
- Die folgenden Betrachtungen sind sehr wichtig, damit die Teilnahme an einem Peer-Projekt kein unfreiwilliges, unbezahltes Ehrenamt wird, in dem man sich arm arbeitet:
- Ein Peer Projekt nur dann möglich, wenn die im Peer Projekt geschaffene Ressource ein Öffentliches Gut ist. Das heißt, dass das öffentliche Gut PHYSIKALISCHE Eigenschaften besitzt, die eine Nicht-Ausschließbarkeit oder eine Nicht Rivalität zur Folge haben. Ist die geschaffene Ressource kein öffentliches Gut, bildet sich langfristig immer eine hierarichische Orgnaisationsstruktur aus, in der derjenige bestimmt, der die meisten materiellen Ressourcen hat. Eine Ressource allein auf Grund von Vereinbarungen zum Öffenltichen Gut zu machen ist nicht möglich.
- Bei Eintritt in ein Peer-Projekt ist das Peer Projekt dahingehend zu untersuchen, ob die geschaffene Ressource ein Öffentliches Gut ist. Ist die geschaffene Ressource kein öffentliches gut, dann ist das Peer-Projekt nicht als solches zu behandeln und Derjenige mit den meisten physischen Ressourcen ist zu ermitteln. Dieser wird sich langfristig zum Eigentümer des materiellen Teils der geschaffenen Ressource entwickeln. In diesem Fall hat man als Neuzugang in das Projekt zwei Möglichkeiten: Entweder man schließt mit dem zukünftigen Eigentümer der geschaffenen materiellen Ressource einen Honorarvertrag, oder man konzentriert sich auf den nicht materiellen Teil der geschaffenen Ressource der immer ein öffentliches Gut ist.
- Wird bei Projekteintritt eine Verschwiegenheitserklärung bezüglich der eigenen, in das Projekt eingebrachten, geistigen Ressourcen gefordert, so ist immer ein Honorarvertrag abzuschließen, denn in diesem Fall existiert kein Peer-Projekt, auch wenn die Teilnehmer einen lockeren Umgang miteinander pflegen und dies immer wieder betonen.
Wie finden Entscheidungsprozesse statt?
- Mehrheitsentscheidungen werden wegen der Gefahr der "Diktatur der Mehrheit über die Minderheit" abgelehnt. Anstelle der Mehrheitsentscheidungen tritt bei Peer-Projekten ein basisdemokratischer Konsens. Beim Konsens reicht ein einziges Veto aus, um eine Entscheidung zu kippen, wobei das Veto auch nachvollziehbar begründet werden muss. Ein Veto mit der Absicht, der Gemeinschaft zu schaden oder Aufgrund der Arbeit als Strohmann hätte mit der Zeit den Verlust der Reputation zur Folge und würde im schlimmsten Fall zum Ausschluss aus einem Projekt führen. Der Konsens wird in aktiven Konsens und passiven Konsens unterteilt. Aktiver Konsens bedeutet, dass nur ein ausgesprochenes "Ja" auch als Zustimmung gezählt wird. Passiver Konsens bedeutet, dass eine Enthaltung oder eine Abwesenheit, z.B. aufgrund von mangelndem Interesse, als "Ja" gezählt wird. Bei allen Menschen, die von den Konsequenzen von Entscheidungen direkt betroffen sind, ist es sinnvoll, aktiven Konsens anzuwenden. Bei nicht betroffenen Teilnehmern ist passiver Konsens ausreichend.
- Im Streitfall, wenn Schlichtungsversuche nicht mehr möglich sind, können Projekte gespalten werden und die einzelnen Teile können getrennte Wege gehen ohne Sanktionen befürchten zu müssen. Eine zukünftige Wiedervereinigung oder eine generelle Kooperation beider Teile bleibt weiterhin möglich.
- Freiheit wird in der Peer Ökonomie zur Freiheit, etwas nicht tun zu müssen.
Was ist die Basis der Peer Ökonomie?
- Die Peer Ökonomie kann mit dem Leitsatz "Beitragen statt Tauschen" am besten Charakterisiert werden.
- Die Basis der Peer-Ökonomie ist die Schaffung von gemeinsamen, frei kopierbaren Ressourcen. Dabei werden die Ressourcen so gestaltet und gepflegt, dass sie ergiebig genug sind, um für alle Beitragenden und alle Interessierten, die keine Beiträge leisten können, Überfluss zu bieten. Der Überfluss der Ressource wird dann verschenkt. Es besteht aber kein Zwang zum Teilen - das ist sehr wichtig! Wenn kein Zwang zum Teilen der geschaffenen Ressource oder zur Mitarbeit am Projekt besteht, die Nutzung einer Ressource nützlich ist und Reputation wichtiger ist als Status, dann wird sich die Verteilung der Güter und die Anpassung der produzierten Menge vermutlich selbstorganisierend regeln.
- Was ist mit den Ressourcen, die nicht im beliebigen Umfang vorhanden sind? Dazu sei der Lösungsansatz der Ökoeffektivität hier angebracht. Wenn die Nutzung einer Ressource für die Ressource selbst nützlich ist, dann gibt es auch keinen Mangel an dieser Ressource. Professor Braungart, auf den der Begriff der Ökoeffektivität zurückgeht, führt das Beispiel der Ameisen an. die Ameisen entsprechen in ihrer Biomasse schätzungsweise 30 Milliarden Menschen und sie sind meist keine Vegetarier, aber sie sind nicht zu viele auf dieser Erde. Warum ist das so? Ameisen machen keinen Müll. Wenn sie ihre Ressourcen Nutzen, schaffen sie Nährstoffe für andere Organismen.
- Anmerkung (Michael Klotsche): Wenn kein Zwang zum Teilen der geschaffenen Ressource oder zur Mitarbeit am Projekt besteht, die Nutzung einer Ressource nützlich ist und Reputation wichtiger ist als Status, dann wird sich die Verteilung der Güter und die Anpassung der produzierten Menge vermutlich selbstorganisierend regeln. Aufgabenverteilungspools wären dann vermutlich nicht notwendig. Diese Annahme gilt es noch zu beweisen.
- Aufgabenverteilungs-Pools tragen Wesenszüge des Tauschhandels und können wieder in eine Art Währungssystem übergehen. Sie sind deshalb mit Vorsicht anzuwenden.
- Es muss die Grundregel gelten: "Wer zuerst kommt, malt zuerst". Ansonsten kommt es zu Versteigerungen von Ressourcen und wieder zu Tauschhandel mit Wettbewerb, Konkurrenzkampf etc.
- Ein kleines Gedankenspiel zum besseren Verständnis: Warum soll ein Techniker in einer Peer-Ökonomie die stinkenden Abwassersysteme pflegen? Ganz einfach weil es Abwasser nicht gibt. Es gibt nur Produkte und Nebenprodukte und beide bestehen aus Rohstoffen. Wenn Techniker dies nicht tut, dann werden z.B. die Bauern die Nährstoffe aus den Abwasser nicht auf die Felder ausbringen können, wodurch die Ernteerträge sinken. Deshalb hätten die Bauern dann weniger Gemüse, so dass sie das Gemüse nicht mit anderen, also auch nicht mit dem Techniker Teilen könnten. Der Techniker bei den Stadtwerken ermöglicht also, dass genug zu Essen da ist, das verteilt werden kann. Techniker, die bei den Stadtwerken in Abwasserkanälen herumkriechen dürften somit (im Gegensatz zu heute) eine gute Reputation genießen. Jeder der möchte, dass der Bauer viel Gemüse zu verschenken hat, wird gerne etwas dafür tun, dass es dem Techniker bei den Stadtwerken gut geht.
Arbeitsverhältnisse in der Peer-Ökonomie
- Die Eindimensionale Betrachtung von Arbeitsverhälnissen zwischen den Punkten "Angestellt" und "Selbständig" ist ein fossiles Relikt vergangener Jahrhunderte, die für Arbeitsverhältnise in der Peer-Ökonomie nicht mehr ausreicht.
- Die Arbeitsverhälnisse "Angestellt" und "Selbständig" haben alle Vor- und Nachteile. Grob gesagt ist ein Angestellter Weisungsgebunden und Abhängig von seinem Dienstherrn, besitzt also keine eigene Lebensgrundlage. Dafür muss der Dienstherr sich an der sozialen Absicherung seines Angestellten beteiligen. Ein Selbständiger ist nicht weisungsgebunden, arbeitet im Idealfall für seine eigenen Lebensgrundlagen, muss sich aber um seine soziale Absicherung selbst kümmern - wenn er es kann.
- Fragestellung: Ist es möglich, eine Beschäftugungsform zu finden, die die Vorteile der Selbständigen Arbeit mit denen des Angestelltenverhältnisses für alle beteiligten kombiniert und die Nachteile eliminiert?
- Lösung: Eine mögliche Lösung möchte ich hier mal als Peer-Arbeitsverhältnis bezeichnen.
Peer-Netzwerke
- Ein Mensch alleine hat oft nicht die Kraft und die Fähigkeiten, die notwendig sind, um größere Projekte zu stemmen. Darum ist es sinnvoll, Peer-Netzwerke zu bilden. Netzwerke selbst sind eine der wichtigsten Lebensgrundlagen der Menschen.
- Ziel des Peer-Netzwerks ist die Erschaffung von Lebensgrundlagen innerhalb des Netzwerks. Die Lebensgrundlagen sind hierbei nicht zwangsläufig Gemeingut. Sie können auch Eigentum desjenigen sein, der sie erschaffen hat oder der sie pflegt. Wichtig ist nur, dass innerhalb des Netzwerks Lebensgrundlagen existieren.
- Die Lebensgrundlagen innerhalb des Netzwerks sind die Basis dafür, dass die Mitglieder des Netzwerks in der Lage sind, sich gegenseitige Hilfe zu leisten, aber auch um gemeinsame Projekte stemmen zu können. Hilfestellung stellt immer eine finanzielle und materielle Belastung dar und oft sind Menschen nicht stark genug, um anderen zu helfen. Darum sollte die Last der Hilfestellung nur kurzfristig auf die Schultern der Netzwerkmitglieder gestellt werden, langfristig aber auf geschaffene Lebensgrundlagen gestellt werden.
- Peer-Netzwerke sind keine Vereinigung irgendeiner Art. Sie sind eher Vergleichbar mit einem Freundeskreis. Das, was ein Peer-Netzwerk entstehen lässt ist die Geisteshaltung seiner Mitglieder. Diese Geisteshaltung zeichnet sich dadurch aus, dass die Mitglieder des Netzwerks sich dessen bewusst sind, dass sie Teil eines Netzwerks sind. Plakativ kann man die Geisteshaltung in folgendem Satz ausdrücken: "Wenn es den anderen Gut geht, dann geht es mir auch gut." Jemand, dem es schlecht geht, der kann mir nicht helfen, wenn es mir einmal schlecht geht.
- Die Mitglieder des Netzwerks wissen von den Fähigkeiten der anderen Mitglieder.
- Es werden Projekte ins Leben gerufen, die physikalische Lebensgrundlagen erschaffen. Die Projekte werden dabei von einem Maintainer angeschoben.
- Der Maintainer holt all die Leute mit in das Projekt, deren Fähigkeiten für das Projekt notwendig sind. Eventuell wird das Netzwerk erweitert, wenn die Fähigkeiten der Mitglieder nicht ausreichen. Auch Unternehmen können Teil eines Peer-Netzwerks werden.
- Die Teilnehmer an einem Projekt werden entweder Miteigentümer der erschaffenen Lebensgrundlage, bekommen ein Nutzungsrecht für die Lebensgrundlage, oder sie werden angemessen ausbezahlt.
- Die Wirtschaftlichkeitsrechnung der Projekte wird nicht an finanziellen Aspekten orientiert sondern an der Ergiebigkeit der geschaffenen Lebensgrundlage und dem zur Erschaffung notwendigen Aufwand.
Peer Projekte
- Damit Peer Projekte nicht im Chaos versinken, sind Prinzipien aus dem Projektmanagement zu beachten.
- "Wer nicht Modelliert, der verliert" (Ich kann es nicht oft genug sagen ...)
Die Initiierung von Peer-Projekten
- Peer Projekte benötigen zu ihrer Initiierung drei Dinge: Definierte Randbedingungen, ein Baukastensystem und einen Keim. Randbedingunen, Baukastensystem und Keim werden vom Projektinitiator vor Projektbeginn geschaffen und müssen allen Projektteilnehmern bekannt sein.
- Die definierten Randbedingungen stellen die Eingangsgrößen und Ausgangsgrößen des Projekts dar. Ein praktisches Beispiel hierfür ist die Anforderungsliste sowie die Gegebenheiten vor Ort.
- Das Baukastensystem beinhaltet alle Werkzeuge und Bausteine, aus denen das Projekt entsteht. Ein praktisches Beispiel dafür sind die Produkte und Methoden der am Projekt beteilgten Firmen.
- Der Keim besteht aus einem vorgefertigten Fragment, das die Merkmale der Projektstruktur aufweist. Von diesem Keim ausgehend wird das Projekt dann selbstorganisierend wachsen. Das Beispiel dazu ist ein grobes Projektmodell, das auf Fachwissen aufbaut.
Weblinks
- peerconomy.org - Ein Wiki, dass die wesentlichen Grundlagen der Peer-Ökonomie enthält
- Peerconomy.org - Peer-Ökonomie ist ein wesentlicher Grundgedanke bei der Realisierung und dem Verständnis von Open Source Projekten. Diese Seite beschreibt die wesentlichen Grundgedanken der Peer Ökonomie und vieles mehr.
- www.keimform.de - Diese Seite enthält eine Reihe interessanter Vorträge zum Thema Peer Ökonomie als ogg Dateien.
- Commoners Treffen - Ein Bericht über ein "internationales Strategietreffen für Peer Ökonomie.
- Commonsblog - Ein Blog, der sich mit den Theman von Commons, Gemeingütern und öffentlichen Gütern beschäftigt.
Literatur
- peer-oekonomie.pdf - ein sehr wichtiges Buch zum Thema als kostenfreier pdf Download. Eine gedruckte und als Buch gebundene Version kann über den Buchhandel käuflich erworben werden. Kommentare zu "Beitragen Statt Tauschen"
- Tapscott, Don; Williams, Antony D.: Wikinomics - Die Revolution im Netz. dtv-Verlag. München, 2009 - Ein Buch über Peer-Produktion, das wirtschaftsgläubige Menschen dort abholt, wo sie sich befinden und sie behutsam in die Welt der Peer-Ökonomie einführt - ein umfangreich recherchiertes Buch mit vielen Quellenangaben. Die Autoren betreiben auch einen Blog zum Thema Wikinomics