Widerstand

Aus OpenTec
Wechseln zu: Navigation, Suche

Wer sich wehrt, braucht für den Spott nicht zu sorgen
Der Anlass, warum ich diesen Text schreibe ist, dass ich vor einigen Tagen ausgelacht wurde, weil ich in einem Gespräch eine Möglichkeit erwähnt habe, mich gegen ein völlig schwachsinniges Gesetz zur Wehr zu setzen. Mir wurde vorgeworfen, dass ich zwar immer viel von Widerstand spreche, aber vor einigen Jahren gegenüber dem Arbeitsamt dennoch klein beigegeben habe, was genauer betrachtet nicht stimmte. Trotzdem tat dieser Vorwurf tat im ersten Augenblick ziemlich weh. Der Schmerz hat mir gezeigt, dass die meisten Menschen überhaupt keine Ahnung haben was Widerstand eigentlich ist. Ich habe weiterhin erkannt, dass das Unwissen gegenüber dem Widerstand bei mir sehr tief im Unterbewusstsein verankert ist, denn ansonsten hätte mir diese unsinnige Aussage nicht weh getan. So wie mir geht es wahrscheinlich den meisten Menschen.


Was ist Widerstand?
Ich möchte eines von vornherein klarstellen: Widerstand heißt NICHT ein Nagelbrett, ein paar Molotov-Coctails, eine Fackel und eine Mistgabel mit sich zu führen, schreiend auf die Straße zu rennen und marodierend durch die Gegend zu ziehen nur um andere Menschen zu etwas zu zwingen. So etwas nennt man Brandschatzen und das ist KEIN Widerstand. Mit Gewalt schadet man anderen Menschen und zerstört man Ressourcen einer Gesellschaft. Letztendlich schadet man dabei sich selbst.
Widerstand heißt, den reibungslosen Verlauf eines gesellschaftlichen oder zwischenmenschlichen Vorgangs zu erschweren, so dass der Vorgang nur unter großem Aufwand stattfinden kann. Ziel des Widerstandes ist es, den Ablauf des betreffenden Vorgangs zu ändern oder diesen Vorgang zu ersetzen, so dass die gesellschaftliche Funktion dieses Vorgangs von einem anderen Vorgang übernommen wird. Widerstand kann auch zum Ziel haben, einen gesellschaftlichen Vorgang so weit zu verlangsamen, dass den betroffenen Menschen die Zeit bleibt, andere, alternative Vorgänge zu entwickeln, die die gleiche gesamtgesellschaftliche Funktion erfüllen.
Jeder gesellschaftliche Vorgang erfüllt, gesamtgesellschaftlich betrachtet, eine Funktion. Das gilt für Vorgänge wie das Erheben von Steuern, die Erstellung von Bebauungsplänen für Städte, für die Druckbehälterverordnung genau so wie für das Stattfinden eines Fußballspiels, fürs Fernsehen oder für den Konsum von Drogen.


Missverständnis des Widerstandes.
Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland im Artikel 20 ist das Recht auf Widerstand verankert. Leider ist dieser Artikel einer der am meisten missverstandenen Artikel.
Das erste Missverständnis bezieht sich auf die Frage, wann Widerstand gerechtfertigt ist. Viele sagen, dass Widerstand erst dann gerechtfertigt ist, wenn das Militär oder die Polizei willkürlich Menschen ermorden. Laut Artikel 20 ist Widerstand erst dann zulässig, wenn andere Abhilfe gegen die Verletzung der Verstöße gegen das Grundgesetz nicht möglich ist. Es ist aber vielmehr so, dass bei allen Entscheidungen, die von staatlicher Stelle kommen und die gegen das Grundgesetz verstoßen, generell keine Diskussion zugelassen wird. Das Wort von staatlichen Stellen ist unumstößliches Gesetz und dagegen gibt es nur eine Abhilfe, nämlich Widerstand. Die Frage ist nur, wie der Widerstand aussieht.
Hier besteht das zweite große Missverständnis des Artikels 20: Widerstand heißt NICHT, den Gegner zu bezwingen. Widerstand heißt nicht, eine Behörde zu verklagen, so dass die Beamten vor Gericht auf die Knie fallen und um Entschuldigung bitten. Ich hatte es bereits vorher erwähnt: Widerstand heißt, einen gesellschaftlichen Vorgang zu erschweren, so dass die Funktion, die dieser Vorgang erfüllt, durch einen anderen Vorgang ersetzt wird. Das setzt als ersten Schritt aber voraus, dass die Funktion eines Vorgangs und die Auswirkungen im komplexen System der Gesellschaft verstanden wird. Der erste Schritt des Widerstandes heißt also, sich mit den Zusammenhängen, die den Vorgang betreffen zu befassen und diese zu verstehen.


Die Funktionsweise von Freiheit
Zuerst ist es wichtig zu betrachten, was Freiheit ist. Es wird darüber viel philosopiert von Leuten, die meiner Ansicht nach keine Ahnung haben, weil ihnen noch niemals Gewalt angetan wurde. Wer Gewalt erfahren hat weiß aber folgendes:

Freiheit heißt, "nein" sagen zu können und dieses Nein auch durchsetzen zu können. 

Als zweites sit es wichtig, die Funktion von Freiheit zu betrachten. Freiheit ist kein Luxus für Leute, die sich einfach zu fein sind, das zu tun, was man ihnen befiehlt. Freiheit ist kein Luxus, sondern ein Stabilitätskriterium für ein Gemeinwesen. Warum ist das so? Jeder Mensch steht in Wechselwirkung mit seiner Umgebung. Jeder Mensch beeinflusst jeden Tag die Handlungen von anderen Menschen, die wiederum Handlungen von Menschen beeinflussen und so weiter. Es ist sehr wichtig, sich das vor Augen zu führen. Die Menschliche Gesellschaft ist ein komplexes System und als solches nicht kontrollierbar. Des weiteren ist der Verstand eines Menschen begrenzt. Mein eigener Verstand zum Beispiel ist so begrenzt, dass ich weiß wo ich bin, wer ich bin und wo ich die Dinge finden kann, die ich irgendwo hingelegt habe. Ich weiß auch in welche Körperöffnung ich mir das Essen reinstecken muss und ich weiß, wie ich meinen Körper pflegen muss. Die Tatsache, dass ich auch in der Lage bin, Maschinen zu konstruieren und Differentialgleichungen zu lösen lässt sich letztendlich auf meine grundlegenden Fähigkeiten und Triebe zurückführen. Wenn ich nun für alle Menschen Entscheidungen treffen wollte, wäre ich, so wie jeder andere Mensch überfordert.
Noch eine Sache ist wichtig für das Verständnis von Freiheit: wie viele Menschen sind an der Herstellung einer einzelnen Schraube beteiligt? zwei? zehn? hundert? Ich sage, es sind alle Menschen auf der ganzen Welt, die jemals gelebt haben, an der Herstellung einer Schraube beteiligt? Warum? Ganz einfach. Der Stahl für die Schraube muss irgendwo her kommen. Die Maschinen zu Herstellung der Schraube müssen von jemandem hergestellt werden. All diese Leute brauchen was zu essen und wohnen irgendwo. All das muss von irgendwem hergestellt worden sein und so weiter.
Um nun zur Funktion der Freiheit. Wenn ich nun diese Schraube in einer freien Gesellschaft bestelle, dann löst diese Bestellung bei meinen Lieferanten wiederum Bestellungen aus, die wiederum Bestellungen auslösen. Überall dort, wo die Bestellungen nicht erfüllbar sind, sagt ein Mensch "nein". Wenn eine wesentliche Bestellung einfach nicht erfüllbar ist, dann pflanzt sich dieses "nein" von Lieferant zu Lieferant rückwirkend zu mir fort und ich bemerke, dass meine Bestellung eventuell problematisch ist. Auf diese Weise brauche ich nicht all die Angelegenheiten aller Menschen zu berücksichtigen. Ist das Nein Sagen in einer Gesellschaft nicht möglich, führt dies zur Lähmung der Gesellschaft und zum Aufblühen von Schwarzmärkten, Korruption und Verbrechen.

Widerstand leisten
Widerstand bedeutet, seine Freiheit einzufordern und "Nein" zu Forderungen anderer Menschen und Organisationen zu sagen. Um ein "Nein" durchzusetzen, hat Gene Sharp in seinem Buch Von der Diktatur zur Demokratie über 190 verschiedene Methoden beschrieben. Die Grundlage des Widerstandes aber ist, sich selbst darüber Gedanken zu machen, wie die Dinge anders laufen sollten und anderen Menschen diese Gedanken mitzuteilen. Das Nein der anderen dient dann dazu, die eigenen Alternativvorschläge auf Machbarkeit und Zweckmäßigkeit zu prüfen. Wenn man selbst keine alternative Vorgehensweise weiß, so ist es zumindest Sinnvoll, Fragen zu stellen und diese anderen Menschen mitzuteilen. Einem Tyrannen wird das Stellen von Fragen selbstverständlich nicht gefallen und er wird seine freundliche Maske ganz schnell fallen lassen. Deshalb ist es wichtig, parallel zum Widerstand im eigenen Umfeld die Dinge so zu regeln, dass man selbst möglichst ohne die Hilfe des Tyrannen seinen Alltag geregelt bekommt. Viele Unterdrückungsverhältnisse basieren letztendlich auf Abhängigkeitsverhältnissen, und diese müssen als erstes durch das Schaffen eigener Ressourcen und Organisationsstrukturen ersetzt werden.